Klimaneutralität – Eine Schule auf dem Weg

Es ist 7.15 Uhr morgens vor der Hoffmann-von-Fallersleben-Schule in Braunschweig. Wenn man sich dem Gebäudekomplex nähert, fällt einem gleich ein kleiner Anbau auf, der nachhaltig mit großen Fenstern gebaut wurde und vertikal begrünt werden soll. „Das ist kein Hexenwerk“, sagt Fred Lorenz, BNE-Beauftragter der Schule, „ein paar Beete anlegen, Drähte ziehen, fertig.“ Dabei soll das Grün für jeden, der an der Schule vorbei kommt ein Eyecatcher werden.

Gleichzeitig fällt auf, dass vor der Schule sehr viele Autos stehen, obwohl die Schule mitten in der Stadt liegt und gut angebunden ist. Der BNE-Beauftragte kommt jedoch mit dem Fahrrad zur Arbeit. Er fährt täglich fünf Kilometer zur Schule und fünf Kilometer zurück – aus voller Überzeugung. „Es muss mehr Fahrradständer geben als Autoparkplätze“, schlägt er vor.

Auch der Schülerrat engagiert sich mit einer Aktion gegen die Elterntaxis. Nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Immerhin müssen täglich zwischen 500 und 600 Schüler*innen in den Pausen zum Essen das Gebäude wechseln und dabei eine viel befahrene Straße überqueren.

Die „Zeigefingergeneration“, wie Lorenz seine Schüler*innen nennt, „sind offener und sensibler für das Thema Umweltschutz. Die sagen dann auch schonmal: ‚Mama muss das denn sein?‘ Anderseits übernehmen Kinder auch Denkweisen der Eltern. In Braunschweig sind durch VW große Autos (SUV) an der Tagesordnung und werden nicht von allen hinterfragt.

Schon am Beispiel Mobilität zeigt sich der Spagat. Es genügt nicht, sich für Klimaschutz zu entscheiden. Es braucht einen Bewusstseinswandel auf mehreren Ebenen und alle müssen (so gut es geht) mitmachen, um etwas zu bewegen. Das ist viel Arbeit, braucht immer wieder neue Impulse, eine Menge Geduld und Frustrationstoleranz, wenn Hindernisse auftauchen.

Jeder muss selbst Verantwortung übernehmen

Erste Stunde, Sportunterricht. Der Sportlehrer ist mit seiner Klasse unterwegs zum „Plogging“. Das ist Joggen, bei dem man Müll sammelt. Die Kinder und Jugendlichen bewegen sich an der frischen Luft und tun gleichzeitig etwas für die Umwelt. Das Bewusstsein dafür, keinen Müll in die Natur zu werfen, steigt.

Der BNE-Erlass in Niedersachsen fordert alle Lehrkräfte dazu auf, BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) in den Unterricht zu integrieren. Im Biologie-, Erdkunde- und Politikunterricht wurden schnell Elemente aufgenommen. Bei Fächern wie Mathe oder Sport leuchtet es nicht sofort ein, wie man den Umweltbezug herstellen kann.

Daher hat Lorenz, der zwei Jahre lang in Umweltschulen für das Landesamt tätig war, ein Padlet mit Tipps angelegt, damit die Kolleg*innen erste Idee bekommen, wie BNE im Unterricht implementiert werden kann. Außerdem führt er Gespräche, um gemeinsam mit dem Kollegium passende Ansätze zu finden. Letztendlich bekommt er nicht mit, wer wie oft Umweltthemen im Unterricht nutzt und das soll auch „auf gar keinen Fall kontrolliert werden. Denn am Ende geht es darum, dass jeder selbst Verantwortung übernimmt, um das Thema zu implementieren“.

Es ist Pause. Die Schüler*innen holen ihre Brotdosen heraus. Früher gab es da oft eingepackte Brötchen, Alufolie und Tetrapacks oder verpackte Sachen vom Bäcker. Jetzt sieht man erstaunlich oft frisches Obst und Gemüse ohne Plastik und das Getränk wird in einer auffüllbaren Flasche mitgebracht. „Vorm Abi denken vielleicht einige nicht groß drüber nach, da kommen die Schokoriegel dann wieder raus,“ sagt Lorenz, „aber da wollen wir auch nicht päpstlicher sein als der Papst. Überhaupt darf man nicht dogmatisch sein, wozu wir Lehrer oft neigen. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Ständiges Wiederholen bringt die Umwelt ins Bewusstsein.“

Kontroverse Disskusionen sind wichtig

Zweite Stunde. Politik in der Oberstufe. Hier wird kontrovers diskutiert. Die einen regen sich darüber auf, dass Klima-Aktivisten sich auf der Straße festkleben und empfinden es als übertriebenen Aktivismus. Die anderen sehen es als das Normalste von der Welt an und verstehen nicht, warum Menschen, die sich für die Erde einsetzen, kriminalisiert werden. „Darüber muss man reden“, sagt Lorenz. Er selbst diskutiert auch gerne und eckt dabei auch manchmal an, wenn es um wertkonversative Ansichten geht. „Bildung nützt schließlich nichts, wenn die Erde unter Wasser steht.“

Im Gebäude selbst sieht man nicht sofort, dass die Schule als „klimaneutrale Schule“ und als „Umweltschule“ ausgezeichnet wurde.  Aber der immer weiter aufkeimende Samen der Achtsamkeit für Umweltschutz zeigt sich im Detail.

Schüler*innen haben an alle Drucker und Kopierer Zettel gehängt, dass man bitte beidseitig drucken soll. Und auf den Toiletten haben Jugendliche Aufkleber angebracht, damit man nicht so viel Papier zum Händeabtrocknen nimmt. Lorenz sieht eher die Kinder und Jugendlichen als Motoren in der Umweltbewegung als die Erwachsenen. Aber er versucht alle zu inspirieren.

“Die Kinder sind Feuer und Flamme”

Das Lieblingsprojekt des engagierten Lehrers ist das Acker-Projekt, eine 120 Quadratmeter große Fläche, die in Zusammenarbeit mit der Organisation „GemüseAckerdemie“ mit 30 heimischen Gemüsesorten und -kräutern bepflanzt wird. „Es sieht einfach toll aus, wenn die Radieschen kommen und die Kresse sprießt. Wenn man kleine Samen gesät hat, und dann wächst etwas Großes daraus.“

Die Schüler*innen sagen zwar schon auch mal „Ach, der Lorenz schon wieder mit seinem Acker“, aber nach dem gemeinsamen Unkrautzupfen, Kohlpflanzen und der anfänglichen „Keine-Lust-Stimmung“ macht es ihnen dann doch Spaß. Dabei lernen die Kinder und Jugendlichen der 5. bis 13. Klasse nicht nur etwas über die regionalen Gemüsesorten, die Fruchtfolge und die Biodiversität, sondern bekommen auch Kontakt zu geistig behinderten Kindern der benachbarten Förderschule.

„Geplant ist, dass jeder willige ‚Ackerbauer‘ ein geistig behindertes Kind unter seine Fittiche nimmt“, sagt Lorenz. Für ihn sind BNE und Inklusion untrennbar miteinander verwoben und beides sind SDG-Ziele (Ziele für nachhaltige Entwicklung). „Die Kinder sind Feuer und Flamme dafür“, sagt Lorenz. „Anfangs waren sie noch scheu, aber gerade die Trisomie-Kinder sind kontaktfreudig und dann wird gemeinsam gegossen und gejätet. Das rührt mich zu Tränen.“

Das Besondere am Acker-Projekt ist, dass es nicht von einer AG betreut wird, sondern von der gesamten Schulgemeinschaft (Whole School Approach). Alle sind mitverantwortlich. Jeder ist angehalten, in Vertretungsstunden auch mal gießen, umgraben oder Unkraut zu zupfen. Pläne für das Gemüse gibt es auch schon, obwohl es noch wachsen muss. Ein kleiner Teil kann zum Beispiel im Bio- und Chemieunterricht für den Stärketest verwendet werden. Etwas Gemüse soll für einen guten Zweck verkauft oder der Partnerschule zum Kochen gegeben werden. Wenn dann noch was übrigbleibt, kann es an die Tafel gespendet werden.

Auch das Thema Inklusion wird schon weitergeplant. „Es soll Kooperationsklassen aus der Förderschule geben, die bei uns untergebracht werden“, erklärt Lorenz. „So begegnen wir im Alltag Menschen, die anders sind als wir. Dann nehmen wir vielleicht wahr, dass andere Dinge nicht können, die für uns selbstverständlich sind, wie Treppensteigen.“

Sich die Hände schmutzig machen für eine nachhaltige Zukunft

Für Lorenz geht es täglich darum, Menschen zu sensibilisieren, damit der Funke auf die Gesellschaft überspringt. „Wir müssen überlegen, wie wir in der Welt leben wollen,“ sagt Lorenz. Die Schulleitung steht voll und ganz hinter dem Thema BNE und „zieht voll mit“, trotzdem ist es kein Selbstläufer.

Kürzlich hat Lorenz eine große Veranstaltung mit dem kompletten Schulelternrat auf die Beine gestellt, um den Demokratie-Erlass und BNE zu erklären. Der neue Acker wurde gezeigt und bei einem gemeinsamen Spaziergang alles erklärt. Das hat einige Eltern inspiriert.

Auch das Kollegium versucht Lorenz zum Mitmachen zu begeistern. So hat er ein Plakat ins Lehrerzimmer gehängt. Auf dem steht „Hat jemand Lust, sich die Hände schmutzig zu machen?“ Dafür hat er statt Radieschen allerdings nur Gelächter geerntet. Mitmachen wollte noch keiner. Die Ressentiments sind noch zu groß. Aus seiner langjährigen Erfahrung an anderen Schulen weiß Lorenz aber, dass die anfängliche Abwehr normal ist und es Zeit braucht. „Hinterher waren die Lehrkräfte dann doch immer stolz, was wir alles geschafft haben.“

Umweltschutz kostet Geld – na und?

Wie finanziert man all diese Projekte? „Es gibt manchmal Klassen, die Kuchenspendenaktionen machen, aber wesentliche Sachen müssen wir schon aus dem Schul-Etat zahlen. Und wir sind permanent blank“, sagt Lorenz. Trotzdem findet sich immer eine Lösung. Für den Acker hatte er zum Beispiel Baumärkte angefragt, die aber alle abgesagt haben. Dann haben sich die Eltern unglaublich engagiert. „Wir haben jetzt zwei  Wassertanks für das Regenwassersystem und genügend Schaufeln, um mit 30 Kindern zu ackern. Außerdem habe ich einen Aufruf in meinem Kleingartenverein gemacht. Auch da kam viel zusammen.“

Umweltschutz kostet Geld, Inklusion auch. Es müssen noch bauliche Probleme gelöst werden, barrierefreie Toiletten, Wickeltische und Differenzierungsräume. „Das wollen wir bis übernächstes Schuljahr schaffen,“ plant Lorenz zuversichtlich. Außerdem wünscht er sich eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Aber das ist noch ferne Zukunft.

Insgesamt träumt er davon, weg vom Geld zu kommen und hin zu einer inneren Haltung: „Wir sollten Schule nicht nur als Lernort wahrnehmen, sondern als Lebensraum, den man gemeinsam hegt, pflegt, schützt und so lebenswert wie möglich gestaltet. Denn hier verbringen wir mehr Zeit als zuhause. Wir müssen Verantwortung für diesen Lebensraum übernehmen. Ich möchte mit einem Lachen im Gesicht leben, in einer Schule, in der ich mich wohl fühle.“

Marika Muster

 

Weitere Informationen

Website der Hoffmann-von-Fallersleben-Schule

Der Weg zur klimaneutralen Schule – hier kann man sich bewerben!

Initiative „Klimaneutrale Schule” Niedersachsen

Klimaschutz steht bei Schülerinnen und Schülern hoch im Kurs – nicht erst seit Fridays-for-Future. Aber wie sieht es bei den Schulgebäuden und dem Schulbetrieb aus? Die neue Initiative „Klimaneutrale Schule” unterstützt weiterführende Schulen dabei, ihre Treibhausgasemissionen zu senken und begleitet sie auf ihrem Weg zur Klimaneutralität. Klimaneutrale Schulen in Niedersachsen