Projekt AmSel: Lebenskompetenzen stärken und Süchten vorbeugen

Die Grundannahme des Projektes „AmSel-Achtsamkeits- und mitgefühlsbasierte Suchtprävention in der Schule“ besteht darin, dass kompetente und reflektierte Pädagog*innen mit entwickelten Persönlichkeitsstrukturen Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften unterstützen. Dazu zählt auch die Resilienz gegenüber Suchtpotentialen.

Eckdaten zu der Studie: An den drei Standorten Bonn, Köln und Troisdorf wurden Pädagog*innen aus insgesamt 21 Schulen, die Interesse am Thema hatten, pro Jahr 4 x 1,5 Stunden in Achtsamkeit, Mitgefühl und Suchtprävention praktisch und theoretisch geschult. Die Trainings fanden statt in den Jahren 2020 (nur online), 2021 und 2022. Unterrichtende waren MBSR-Lehrer*innen zusammen mit Suchtberater*innen, die auf Basis der Programme “Achtsamkeit macht Schule” und “GAMMA” Trainings durchgeführt haben.

AMSEL-Weiterbildungsrunde mit Pädagog*innen

Förderung von Lebenskompetenzen

Mit dem o.g. Ziel und aufbauend auf vorherigen eigenen Schulprojekten und internationalen Studienerkenntnissen haben die beiden Projektpartner, die Fachstelle für Suchtprävention „update“ von Caritas/Diakonie in Bonn sowie die AG „Prävention und globale Gesundheit“ der Evang. Kliniken Essen-Mitte/Universität Duisburg-Essen eine viermodulige Weiterbildung für Pädagog*innen konzipiert und mit pädagogischen Fachkräften aus  umgesetzt. Dabei stand die Förderung von Lebenskompetenzen im Vordergrund.

Zu den Lebenskompetenzen, wie sie die WHO mit ihren „core life-skills“ definiert, zählen (vgl. Hallmann, 2020):

  1. Selbstwahrnehmung
  2. Empathie
  3. Kreatives Denken
  4. Kritisches Denken
  5. Die Fähigkeit, konstruktive Entscheidungen zu treffen
  6. Problemlösefertigkeit
  7. Kommunikative Kompetenz
  8. Interpersonale Beziehungsfertigkeiten
  9. Gefühlsbewältigung
  10. Stressbewältigung

Insbesondere erschienen den Studienleitern Dr. Nils Altner und Bettina Adler, M.Sc., davon Stressbewältigung, emotionale Regulations-, Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit, Selbstwahrnehmung und Empathie sowie die Fähigkeit, im Alltag Entscheidungen zu treffen, welche der Regeneration und Stärkung der Gesundheitsressourcen dienen, als relevante Bildungsziele für die AmSel-Weiterbildung.

Umfangreiche Forschungsergebnisse zu den Wirkeffekten von achtsamkeits- und mitgefühlsbasierten Schulprogrammen zeigen, dass sie zur Förderung genau dieser Lebenskompetenzen prädestiniert sind. Relevante Auswirkungen solcher Programme auf Aspekte der Lebenskompetenz speziell bei Lehrer*innen und Schüler*innen sind beispielsweise dokumentiert für:

  • eine Stärkung von Konzentration, Arbeitsgedächtnis, logischem Denken, Problemlösefähigkeit, geistiger Flexibilität (Flook et al. 2010)
  • weniger Aggressivität (Singh et al. 2013)
  • erhöhte Resilienz (Zenner et al. 2014)
  • Stressreduktion und größere Impulskontrolle (van de Weijer-Bergsma et al. 2014)
  • erhöhte Selbstregulationsfähigkeiten/Impulskontrolle (Goldberg, Riordan, Sun & Davidson 2022.)
  • gestärkte Selbstregulation und prosoziales Verhalten (Flook et al. 2015)
  • verbesserte Regulationsfähigkeit durch Wahrnehmung von eigenen psychischen Zuständen (Mendelson 2010)

Schülerinnen nehmen sich achtsam und mitfühlend wahr

Mit Achtsamkeit gegen die Sucht

Im Kontext der achtsamkeitsbasierten Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen konnte zudem eine Zunahme körperlicher Regulationsfähigkeiten bei gleichzeitiger Abnahme von Drogenkonsum nachgewiesen werden (Price & Crowell 2016; Ludwig et al. 2020).

Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Abstinenz von süchtigen Verhaltensweisen durch präfrontal vermittelte exekutive Kontrolle und Selbst-Regulation von Gefühlen, Gedanken und Verhalten gefördert wird (z.B. Garavan et al. 2013). Defizite in der Emotionsregulation werden seit einigen Jahren sogar als transdiagnostischer Risikofaktor für substanzbezogene Störungen sowie für ein großes Spektrum weiterer psychischer Störungen identifiziert (vgl. Shadur & Lejuez. 2015, 354).

Gleichzeitig mehren sich die Hinweise auf eine Stärkung suchtätiologisch relevanter exekutiver und sozioemotionaler Kompetenzen vor allem durch früh und präventiv vermittelte Achtsamkeit (Arnaud & Thomasius 2021, 284). Obwohl neurobiologische und klinische Studien den Nutzen achtsamkeits- und mitgefühlsbasierter Methoden für die Stärkung exekutiver Regulationsfähigkeiten und Beziehungskompetenzen belegen, finden diese bislang noch wenig Eingang in suchtpräventive Interventionen und Programme (Arnaud & Thomasius 2021).

Das Projekt AmSel hat hier Pionierarbeit geleistet.

Ziele und Inhalte der Amsel-Studie

Die aufeinander aufbauenden Teilziele der AMSEL-Weiterbildung lassen sich in einem didaktischen Dreischritt beschreiben aus

  1. Verkörpern: bewusst Achtsamkeit und (Selbst)Mitgefühl leben und verkörpern,
  2. Beziehen: achtsam und (selbst)mitfühlend Beziehungen und Unterricht gestalten,
  3. Lehren: Methoden zur Förderung von Achtsamkeit und (Selbst)Mitgefühl unterrichten.

Die qualitative Evaluation der erzielten Wirkungen

Parallel zur Weiterbildung von Kolleg*innen aus insgesamt 21 Schulen, wurden die dadurch erzielten Wirkungen prozessbegleitend evaluiert. Die Studienhypothesen für die erwarteten Wirkungen der AmSel-Weiterbildung für Pädagog*innen an den Standorten Bonn, Köln und Troisdorf lauteten:

  1. Durch eine achtsamkeits- und mitgefühlsbasierte Weiterbildung stärken PädagogInnen ihre eigene Lebenskompetenz und damit ihre suchtpräventiven Ressourcen.
  2. Die damit einher gehenden veränderten Aspekte ihrer Persönlichkeit, ihrer Beziehungsgestaltung und ihres Unterrichtens stärken mittelbar auch die potenziell suchtpräventiv wirkende Lebenskompetenz der SchülerInnen.

Basis für die nachfolgende Darstellung der qualitativ erhobenen Ergebnisse der Weiterbildung sind 44 geführte Interviews, wovon 22 Abschlussgespräche waren. Die Erhebungen wurden in Form von phänomenologischen Tiefeninterviews durchgeführt. Diese im Format der in der AG Prävention und globale Gesundheit entwickelten „verkörpert phänomenologischen Gespräche“ geführten Interviews wurden per Videotelefonat durchgeführt und dauerten zwischen 30 und 40 Minuten (vgl. Altner 2022).

Aus den Aufzeichnungen aller Gespräche wurden relevante Passagen transkribiert. Anschließend wurden inhaltsanalytisch Themencluster gebildet, zu übergeordneten Themenaussagen zusammengefasst und dazu repräsentative O-Ton-Aussagen vermerkt. Im gesamten Evaluationsprozess wurden dabei die geltenden forschungsethischen und datenschutzrechtlichen Richtlinien eingehalten. Um die Personenrechte zu wahren, verzichten wir nachfolgend bei den Gesprächszitaten auf Identifikationskürzel.

Erfahrungen der Pädagog*innen

Freundlichkeit

In den Interviews zu ihrem Erleben in der Weiterbildung drückten die Teilnehmer*innen (TN) immer wieder aus, wie sehr sie das freundliche Arbeitsklima schätzten. Das Vertrauen und die Verbundenheit in der Weiterbildungsgruppe wurden dabei als besonders berührend hervorgehoben. So beschreibt eine Pädagogin diese für sie wichtigen Aspekte:

Es war so schön zu erleben, wie wertschätzend man von allen aufgenommen wurde und wie sich – trotz der Distanz und des späteren Einstiegs – eine Verbundenheit entwickelt hat und dass unser gemeinsamer Raum so erfüllt war von so viel Freundlichkeit, aufrichtigem Interesse und Wertschätzung und Inspiration – das tat so gut!

Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge

Diese Verbundenheit und Unterstützung wurde auch als ein zentraler Bestandteil der Zusammenarbeit in den AmSel Schul-Teams beschrieben. Der Einladungscharakter der Weiterbildung und die von den Trainer*innen verkörperte und durch die Achtsamkeits- und Mitgefühlsübungen vermittelte (Selbst)Freundlichkeit und Fürsorge wurden dabei als besonders hilfreich eingeschätzt. Einzelne TN berichten, dass diese vertrauensvolle Atmosphäre sowie der explizite Einladungscharakter während der Weiterbildung die Entwicklung ihrer Haltung im Bezug zu sich selbst unterstützt hat. So sagt eine TN stellvertretend für viele:

Auf einen Aspekt möchte ich noch einmal besonders eingehen: die Selbstfreundlichkeit und Selbstfürsorge. Dies hat mich besonders angesprochen und berührt, denn das ist auf jeden Fall etwas, das ich in den letzten Jahren – also besonders seit meinem Berufseinstieg – vernachlässigt habe.

Die Einübung einer freundlich mitfühlenden Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge im Schulalltag während der oft als sehr herausfordernd erlebten Corona-Jahre ermöglichte den TN, die sich darauf einließen, die Stärkung ihrer Selbstwahrnehmung und Selbstregulation.

Präsenz und Zuwendung erst zum Selbst und dann zu den Schüler*innen

Aus der Praxis der alltäglichen achtsamen Präsenz mit den Wahrnehmungen aus dem eigenen Innern im Sinne einer selbstmitfühlenden Fürsorge entstehen dann für die TN auch Auswirkungen auf die Schüler*innen und Kolleg*innen. Dazu sagt eine TN:

Das ist mir durch die AMSEL-Fortbildung noch einmal ganz wichtig geworden: Wie unendlich wertvoll es ist, sich wirklich jeden Tag Zeit für sich zu nehmen (ganz egal, wie knapp die Zeit ist und wie viel eigentlich noch getan und geleistet werden muss), liebevoll und fürsorglich sich selbst gegenüber zu sein!

Bewusst freundlich zugewandte Beziehungsgestaltung

Die Kultivierung dieses freundlichen und mitfühlend fürsorglichen Blicks wirkt sich natürlich auch auf die Wahrnehmung der SchülerInnen aus und auf die Gestaltung der Beziehung zu ihnen im Schulalltag. Eine TN beschreibt das so:

Sowohl in Klasse 6 als auch in Klasse 7 ist mir bewusst geworden, wie groß das Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler nach solchen Auszeiten und „Alltagsinseln“ während des Schulalltags ist und auch ihr Bedürfnis, ihre Erfahrungen zu teilen und mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen und daher beschäftigt mich die Frage, wie ich dies im Rahmen von schulischen Zeitfenstern und Gegebenheiten ermöglichen kann.

Auch haben mich die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler noch einmal mehr für die Anforderungen sensibilisiert, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind und dass ich – obwohl mir das immer schon ein Anliegen ist – noch mehr darauf achte, wie es ihnen geht und sie gerade „hier sind“.

Achtsamkeits- und Mitgefühlsübungen im Schulalltag

Alle befragten TN berichten, dass sie immer wieder Momente des Innehaltens in ihren Unterricht bzw. in den Schulalltag einbauen. Die meisten von ihnen leiten dann für die Schüler*innen Präsenz- und Mitgefühlsübungen an. Dabei werden die Pädagog*innen mit der Zeit an Sicherheit und Erfahrung gewinnen. Für einige der TN war die erstmalige Umsetzung von Übungen mit den Schüler*innen durchaus mit Unsicherheit und Mut verbunden. Ein TN schildert das so:

Ich muss gestehen, dass ich widersprüchliche Gedanken und Gefühle vor dem Beginn des Praktizierens der Achtsamkeitsübungen mit den Schülerinnen und Schülern hatte. Zum einen war da große Vorfreude und positive Aufregung und ein endlich Teilen-Können dessen, was für mich selbst so ein Geschenk ist und guttut.

Andererseits waren da auch Fragen wie: Was, wenn die Schülerinnen und Schüler kein Interesse daran haben; sie die Einladung, diese Übungen auszuprobieren irritiert, weil sie so etwas im schulischen Kontext (…) noch nicht kennen. Was ich dann erleben durfte, lässt mich immer noch staunen.

Es war sehr berührend zu sehen, wie die Schülerinnen und Schüler sich auf die Übung eingelassen haben! Als ich im Anschluss daran gefragt habe, ob jemand etwas teilen möchte, war ich sehr überrascht, wie viele Schülerinnen und Schüler das Bedürfnis hatten, etwas zu sagen und es hat mich sehr berührt und begeistert, dass sie sich so wohlgefühlt haben, um ihre persönlichen Eindrücke mit der Klasse zu teilen.

Andere TN berichten ebenfalls davon, dass die Schüler*innen dieses Innehalten sehr genießen und bewusst danach fragen. O-Töne dazu sind z.B.:

  • Die Schülerinnen und Schüler (SuS) genießen die Stille und verlangen nach Ruhe, wenn es laut wird.
  • Bisher habe ich in etlichen Religionsstunden eine Achtsamkeitsübung an den Anfang gestellt. Mein 6er Kurs fordert dies richtig ein.
  • Die SuS sind sehr offen und das Klassenklima hat sich verbessert.
  • Es gab spontanes Klatschen nach einer Übung!
  • Ich bekomme sehr positive Rückmeldungen mit Daumen hoch seitens der SuS.

Feedback der Schüler*innen

Eine TN teilte uns die folgenden Äußerungen ihrer Schülerinnen und Schüler aus ihrer 6. und 7. Klasse mit, die sie nach einer Übung teilten, die sie zur bewussten Vergegenwärtigung angenehmer Erfahrungen einlud:

  • Das hat so gutgetan. Ich konnte richtig entspannen.
  • Ich habe gemerkt, wie gestresst ich bin und wie voll mein Schultag ist. So ein richtiges Hamsterrad.
  • Ich habe über Sachen nachgedacht, über die ich sonst nicht nachdenke. Das war so schön, mal nur an was Schönes zu denken.
  • Das war so schön, wie in einem Traumpalast.
  • Das hat so gutgetan, nur an was Schönes zu denken, das mach ich viel zu selten. Oft ist das eher so, dass man sich kritisiert und unzufrieden ist.
  • Das hat gutgetan. Und ich merke jetzt erst, wie müde ich eigentlich bin.
  • Ich fühle mich jetzt echt entspannt. Können wir das bitte immer donnerstags machen?
  • Das hat sich einfach gut angefühlt.
  • Das war so schön. Sowas sollte es mehr in der Schule geben.
AMSEL-Klasse in der Bonner Michaelschule

Feedback der Pädagog*innen zur Umsetzung von Achtsamkeits- und Mitgefühlsübungen mit den Schüler*innen

Exemplarisch auch für andere drückt diese Kollegin ihre Eindrücke vom Erleben der Schüler*innen so aus:

Es war und ist ein solches Geschenk, mit den Schülerinnen und Schülern solche Momente erleben zu dürfen und sich mit ihnen darüber auszutauschen. Der Einstieg in und die Durchführung dieser Übung haben sich so organisch und natürlich, so richtig angefühlt! Zu erleben, dass die Schülerinnen und Schüler sich so wohl fühlen, sich angenommen und wertgeschätzt wissen und voller Vertrauen das Erfahrene teilen möchten, gehört zu den schönsten Erfahrungen, die ich als Lehrerin machen durfte!

Die Relevanz für die Suchtprävention

“Die Tüte Chips zu greifen, geschieht ja eher unbewusst.”

Im Gespräch zieht eine Pädagogin (S) Parallelen zwischen potenziell suchtpräventiven Aspekten der (selbst)mitfühlenden Präsenz- und Achtsamkeitspraxis für die Kinder und für sich selbst:

S: Es hat ne Weile gedauert, bis ich verstanden habe, was Achtsamkeit mit Suchtprävention zu tun hat. Es ist ja auch für meine Viertklässler sehr interessant zu sehen, was im Gehirn passiert. Das motiviert sie dann ja auch innezuhalten, einen tiefen Atemzug zu nehmen und bewusst zu entscheiden, was sie tun wollen. Dann können sie sich auch irgendwann bewusst entscheiden, nicht zu rauchen oder nicht zu trinken. Da denke ich im Moment viel drüber nach.

A: Du sagst, es hat für dich eine Weile gedauert zu verstehen, was Achtsamkeit, Mitgefühl und Selbstmitgefühl mit Suchtprävention zu tun haben. Was ist für dich da das zentrale Element? Kannst du das beschreiben, gar nicht so sehr vom Konzept her, sondern wie es für dich gewirkt hat?…

S: Zentral ist für mich, dass ich Strategien entwickel, die mir guttun, ein Spaziergang an der frischen Luft oder ein Telefonat mit meiner Freundin. Und wenn es mir mal nicht gut geht, kann ich das dann umsetzen, statt ´ne Tüte Chips zu essen. Alkohol ist es bei mir nicht so. Ich kann dann ganz bewusst zu mir sagen, nö, die Tüte Chips ess´ ich jetzt nicht, sondern ich ruf meine Freundin an. Ich kann mich jetzt genau wahrnehmen und merken, wann es soweit ist.

Die Tüte Chips zu greifen, geschieht ja eher unbewusst. Das ist für mich der Punkt, dass ich mich selber kennenlerne… Was beflügelt mich und was ankert mich auch? Ich weiß dann auch, wenn ich es brauche, dass meine Familie und meine Freunde mich ankern. Spazierengehn´ kann mich beflügeln, weil´s mir guttut.

Hier wird das Thema der bewussten Entscheidungen relevant, das die WHO, wie oben zitiert, zu den Lebenskompetenzen zählt. S beschreibt dabei exemplarisch für ihre KollegInnen und potenziell auch für die SuS sehr genau, wie ein achtsames und mitfühlendes Präsentsein mit sich selbst das Treffen ressourcenstärkender und suchtpräventiver Entscheidungen unterstützen kann.

Verstetigung und Erweiterung

Alle TN wünschten sich, im Anschluss an die Weiterbildung auch weiterhin Achtsamkeits- und Mitgefühlsübungen in ihre Arbeit zu integrieren. Jedes AmSel Schul-Team hat dafür bereits konkrete Pläne entwickelt sowie erste Schritte zur Integration der Fortbildungsinhalte in die Schule unternommen. So hat das AmSel Team einer Förderschule eine Fachkonferenz für Achtsamkeit und Selbstmitgefühl gegründet.

Das Team in einem Gymnasium bietet eine AmSel AG an. Eine Grundschule hat für jede Klasse eine Achtsamkeitskiste angeschafft, in der Material für Übungen zur Verfügung stehen. Außerdem fanden Präsentationen der AmSel Teams für ihre Kollegien statt, um sie in die Integration der Fortbildungsinhalte in den Schulalltag mit einzubeziehen.

Pädagog*innen wirken nicht nur durch ihr Handeln auf die Kinder, sondern v.a. auch durch ihre Haltung und ihr Sein. Wenn Pädagog*innen aus einer verkörpert achtsamen Haltung und mitfühlenden Präsenz heraus Übungen anleiten, die die Kinder einladen, selbst auch präsent, achtsam und mitfühlend zu sein, dann, so berichten uns die TN, lassen diese sich oft sehr gern darauf ein, machen wohltuende Erfahrungen und teilen sich im Anschluss daran offenherzig und vertrauensvoll mit. Hier finden dann zuweilen Begegnungen jenseits der Bewertungshierarchie statt, die Lehrer*innen als zutiefst beglückend und nährend beschreiben.

Dabei stellten Pädagog*innen in den Interviews Verbindungen her zwischen der Kultivierung eines freundlichen, bewussten und fürsorglichen Selbstbezugs und der Bildung von Lebenskompetenzen, die suchtpräventiv bei ihnen selbst und auch bei den Schüler*innen wirken. Hier wurden interessanterweise weniger „kalte“ funktionale Aspekte wie Selbstbeherrschung oder Selbstdisziplinierung beschrieben, sondern eher „warme“ beziehungsrelevante Qualitäten wie das sich selbst gut Kennen, das wohlwollende Wachsein für eigene förderliche und für schädigende Handlungsimpulse sowie die freundliche, bestimmte und zuweilen auch humorvolle Entscheidungsfähigkeit für die (selbst)fürsorglichen Handlungen.

Es sind genau diese Fähigkeiten, die Ludwig et al. (2020) als Kompetenzen einer „gewaltfreien Selbstregulation“ (self-regulation without force) beschreiben.

Fazit und Ausblick

Die qualitative Evaluation der Wirkungen der AmSel-Weiterbildung liefert nach Erachten der Forscher substanzielle Hinweise darauf, dass in Übereinstimmung mit den Forschungshypothesen

  1. durch eine konkret achtsamkeits- und mitgefühlsbasierte Weiterbildung Pädagog*innen ihre eigene Lebenskompetenz und damit ihre suchtpräventiven Ressourcen stärken und
  2. die damit einhergehenden veränderten Aspekte ihrer Persönlichkeit, ihrer Beziehungsgestaltung und ihres Unterrichtens mittelbar auch die potenziell suchtpräventiv wirkende Lebenskompetenzen der Schüler*innen fördern.

Der ehemalige und langjährige Leiter der ginko Stiftung für Prävention, Jürgen Hallmann (2020), bemerkt zur Bildung von Lebenskompetenz:

Die Fertigkeiten, die unter dem Konstrukt Lebenskompetenz subsumiert werden, lassen sich aufgrund ihrer Komplexität allerdings nicht direkt, sondern nur über einen indirekten Weg aufbauen. Dementsprechend können Bewältigungsstrategien mit dem Ziel des Kompetenzaufbaus nicht abstrakt vermittelt werden, sondern sind an die Vermittlung konkreter Inhalte gebunden.

Die AmSel-Weiterbildung erscheint den Studienleitern mit ihrer Vermittlung von Kenntnissen zur Suchtprävention in Kombination mit Erfahrungen von Freiwilligkeit, Freundlichkeit, Mitgestaltung, Verbundensein und wohltuender Stille sowie mit dem konkret geübten Aufbau von Fähigkeiten des präsent, achtsam, mitfühlend und fürsorglich Seins und Unterrichtens als ein gangbarer Weg für die freiwillige Persönlichkeitsbildung und Lebenskompetenzstärkung von daran interessierten Pädagog*innen.

Die Voraussetzung von Interesse und Freiwilligkeit der Teilnehmenden lassen sich als Limitierungen des Projekts interpretieren, aber auch als Qualitätsmerkmale eines partizipativ mitbestimmten und damit potenziell demokratiefördernden Verständnisses von Bildung.

In einem weiteren, über den dreijährigen Projektzeitraum hinausreichenden Bildungs- und Evaluationsprozess wäre es sehr erstrebenswert, die Weiterbildung auch überregional interessierten Kollegien anbieten und ihre Teilnahme finanzieren zu können.

Außerdem wäre es sinnvoll, weitere aufrechterhaltende Verstetigungsformate zu erproben sowie Langzeitwirkungen v.a. auf das Konsumverhalten der Schüler*innen und Pädagog*innen zu untersuchen. Ein Schwerpunkt könnte dabei der bewusste und selbstbestimmte Umgang mit den suchtfördernden Aspekten digitalisierter Angebote sein.

Bettina Adler & Nils Altner

Foto Nils AltnerDr. Nils Altner ist Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler, Autor. Projekt-, Forschungs- und Lehraufträge u.a. an der Universität Duisburg-Essen, der Harvard Medical School und der Norwegian University of Science and Technology. Nils Altner hat die Weiterbildung GAMMA entwickelt, an der Entwicklung des Curriculums der AVE Weiterbildung mitgearbeitet und ist hier auch als Dozent tätig. Mehr Infos auf seiner Website.

 

Bettina AdlerBettina Adler, M.Sc. arbeitet in der universitären Achtsamkeitsforschung mit dem Schwerpunkt Gesundheitsförderung und Professionalisierung von Pädagog*innen. Sie ist seit 30 Jahren Achtsamkeitspraktizierende und hat 2021 die AVE-Weiterbildung abgeschlossen. Sie betreibt empirische Achtsamkeitsforschung in den Bildungswissenschaften und bietet ein individuell abgestimmtes, bedarfsgerechtes und erfahrungsbasiertes Achtsamkeitstraining.

AG Prävention und globale Gesundheit, Kliniken Essen-Mitte/Universität Duisburg-Essen, Kontakt: nils.altner@uni-due.de

 

Zitierte Literatur

Altner N. (2022) „Ich muss nicht mehr Recht haben, um mich sicher zu fühlen.“ Ergebnisse aus phänomenologischen Tiefeninterviews mit Hochschullehrenden nach fünf Tagen gemeinsamer Stille. In: R. Albrecht & M. Sandbothe (Hrsg.) Achtsame Hochschulen in der digitalen Gesellschaft, Buchreihe Achtsamkeit-Bildung-Medien, transcript.

Arnaud, N., Thomasius, R. (2021). Achtsamkeitsorientierte Suchtprävention und -therapie bei Kindern und Jugendlichen: Einschätzungen aus dem IMAC-Mind Verbund. In: SUCHT, 67 (6), 283-286. Hogrefe.

Flook, L., S. B. Goldberg, L. Pinger and R. J. Davidson (2015). “Promoting prosocial behavior and self-regulatory skills in preschool children through a mindfulness-based Kindness Curriculum.” Dev Psychol 51(1): 44-51.

Garavan, H., Brennan, K. L., Hester, R., & Whelan, R. (2013). The neurobiology of successful abstinence. Current Opinion in Neurobiology, 23(4), 668–674. https://doi.org/10.1016/j.conb.2013.01.029.

Goldberg, Simon B., Kevin M. Riordan, Shufang Sun, and Richard J. Davidson. (2022) “The Empirical Status of Mindfulness-Based Interventions: A Systematic Review of 44 Meta-Analyses of Randomized Controlled Trials.” Perspectives on Psychological Science: A Journal of the Association for Psychological Science 17, no. 1: 108–30. (Weber, 1905).

Hallmann, J. (2020) Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung, BZgA, Leitbegriffe der Gesundheitsförderung, https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/ lebenskompetenzen-und-kompetenzfoerderung/, Zugriff: 14.5.22.

Ludwig, V., Brown, K., & Brewer, J. (2020). Self-regulation without force. Perspectives on Psychological Science, 15(6):1382-1399. doi:10.1177/1745691620931460.

Mendelson, T., Greenberg, M., Dariotis, J., Gould, L., Rhoades, B., & Leaf, P. (2010) Feasibility and preliminary outcomes of a schoolbased mindfulness intervention for urban youth. Journal of Abnormal Child Psychology, 38(7), 985–994.

Price, C. J., & Crowell, S. E. (2016). Respiratory sinus arrhythmia as a potential measure in substance use treatment–outcome studies. Addiction, 111(4), 615–625.

Shadur, JM., Lejuez, CW. (2015). Adolescence substance use and comorbide psychopathology: Emotion Regulation deficits as a transdiagnostic risk factor. In: Current Addict Reports. 2 (4), 354-363.

Singh, N. N., G. E. Lancioni, A. S. W. Winton, B. T. Karazsia and J. Singh (2013). “Mindfulness Training for Teachers Changes the Behavior of Their Preschool Students.” Research in Human Development 10(3): 211-233.

van de Weijer-Bergsma, E., G. Langenberg, R. Brandsma, F. J. Oort and S. M. Bögels (2014). “The Effectiveness of a School-Based Mindfulness Training as a Program to Prevent Stress in Elementary School Children.” Mindfulness 5(3): 238-248.

Zenner, C., S. Herrnleben-Kurz and H. Walach (2014). “Mindfulness-based interventions in schools-a systematic review and meta-analysis.” Front Psychol 5: 603.

 

Suchtprävention in der Schule