Sagen, was wir meinen – ohne zu verletzen

Neulich in einem überfüllten Bus. Eine Schulklasse macht einen Ausflug. Zwei Lehrkräfte sind mit den zwanzig Grundschulkindern einer vierten Klasse mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Manche stehen, manche sitzen. Manche lachen, manche schubsen. Einige Essen oder trinken etwas oder hören schon wie die „Großen“ unter riesigen Kopfhörern Musik.

An der nächsten Haltestelle soll ausgestiegen werden. Hektik macht sich breit. Und ich höre, wie die Lehrkräfte zunehmend nervöser zu zwei Schülern Sätze sagen wie: „Wenn du nicht sofort aufstehst, setzt´s was!“ oder „Wenn du so rumtrödeltest, wird nie was aus dir!“ Ein Junge, der Zeuge dieser Sätze ist, nimmt seinen Kumpel am Ärmel, zieht ihn mit sich. Selbstbewusst sagt er zum Lehrer: „Hör auf mit der Zunge zu schlagen.“ Und ich freue mich. Denn ja, so ist das. Man kann auch mit der Zunge schlagen.

Ob wir es glauben wollen oder nicht: Drohungen und Herabsetzungen gehören in der Kindheit zu den häufigsten Formen von Gewalt, deren emotionale Folgen so schwerwiegend sein können, wie körperliche Gewalt. In diesem Bus geht es anders weiter und ich freue mich auch. Ich sehe, wie einer der Lehrer einen Moment innehält und dann antwortet: „Stimmt, das war zu grob und verletzend. Das bedauere ich. Ich versuche es anders.“ Besser kann es in einem Buch über achtsames Sprechen nicht stehen.

Worte und Sprache können grob und verletzend sein, aber auch wärmen. Manchmal gelingt uns das wärmende und konstruktive intuitiv und mal bewusst, während uns das verletzende meistens unbewusst passiert. Vor allem in Momenten, in denen es uns selbst nicht gut geht, wir in Stresssituationen sind oder durch etwas getriggert werden, das in uns alte „Sprach-Muster“ aktiviert.

Mit Sprache Brücken bauen

Mit unserer Sprache und dem Zuhören bauen wir anderen und uns eine Brücke zwischen unseren Welten. Unsere Sprache verbindet unser Innenleben mit dem Außen. Sprache verbindet im Idealfall das, was wir an Wissen haben mit dem, was wir im Herzen fühlen. Ich stelle mir das manchmal wie ein Haus mit einem Fahrstuhl vor. Bevor ich im Erdgeschoss, meinem Mund, aussteige, fahre ich ins obere Stockwerk, mein Gehirn, dann ins untere, mein Herz. Oder umgekehrt. Und erst dann spreche ich.

Oft sagen wir allerdings statt „Stimmt, das war zu grob und verletzend“ eher „Das war doch gar nicht so gemeint“ und setzen damit leider noch einen Schlag oben drauf. Wir sagen das vielleicht, weil es uns peinlich ist, was wir gesagt haben. Oder wir fühlen uns ertappt und hinter einer solchen Rechtfertigung versteckt sich eine Entschuldigung. Immerhin sind Erwachsene Vorbilder und in der allgemeinen Vorstellung dürfen Vorbilder keine Fehler machen. Dass es uns peinlich ist, stellen wir oft erst hinterher fest, wenn wir uns nochmal die Situation ins Gedächtnis rufen. Aber eben auch nur, wenn.

Innerer Dialog

Aber weshalb hat der Lehrer nicht das gesagt, was er eigentlich gemeint hat? Wie meint er es wirklich?

Mit unseren Worten erzählen wir, aus welcher Welt wir kommen, was wir zu Hause gehört haben, was wir gelesen haben, was wir gelernt haben, wie wir die Welt sehen. Wir vermitteln mit unseren Worten, unsere Werte. Und hoffen darauf, dass wir mit dem Gegenüber in Übereinkunft sind. So einfach und intuitiv Sprechen ist, genauso komplex ist es also auch. Und darum geht es auch beim achtsamen Sprechen. Eigentlich ist es ganz einfach, und dann doch irgendwie wieder ganz schön komplex.

Wenn man lernen möchte, wie man mit Kindern wertschätzend und empathisch und eben nicht grob oder gewaltvoll kommuniziert, kann man zunächst seine Aufmerksamkeit auf seine inneren Dialoge richten. Denn so, wie wir mit uns selbst sprechen, sprechen wir mit anderen.

Wie reden wir mit uns selbst, wenn uns etwas gelingt? Und wie, wenn uns etwas nicht gelingt? Wie, wenn wir unter Stress sind, wie die Lehrer im Bus? Reden wir freundlich oder kritisierend mit uns selbst? Ist es ein „Du Schussel“ ? oder ein „Naja, diesmal ist dir das nicht so gut gelungen?” Wir hören dann unter anderem die Welt von gestern zu uns sprechen. Wir hören Eltern, Großeltern, Lehrer*innen und andere Erwachsene, die uns vielleicht häufiger als notwendig kritisiert, bewertet oder verletzt haben.

Sie dachten noch, dass man jemanden von A nach B bewegen kann, in dem sich Unerwünschtes durch Strafe und Schimpfen auflöst, und Erwünschtes mit Belohnung, sprich Freundlichkeit gestärkt wird. Inzwischen wissen wir: Lob und Freundlichkeit sind aber kein Synonym. Lob ist nichts weiter als die Kehrseite von Strafe, eine Bewertung dessen, was jemand tut. Das klappt zur Dressur von Tieren. Beim Menschen nicht. Verletzendes vermehrt hier Verletzendes und Freundlichkeit vermehrt Freundlichkeit. So wie ein Garten, in dem wir Müll kippen irgendwann eine Müllkippe ist. Und wenn wir Blumen säen nicht.

Achtsames Sprechen

Zum achtsamen Sprechen gehört, dass wir unseren eigenen momentanen Zustand wahrnehmen. Welche Gedanken oder Bewertungen haben wir zu der Situation, welche Emotion wird dabei in uns hervorgerufen und wie reagiert unser Körper. Sind wir genervt und unsere Körper ganz angespannt, fallen wir schneller in unsere alten Muster. Ist unser Muster bei Stress Selbstverurteilung, dann werden wir im Stress auch andere eher verurteilen oder Sätze sagen wie „Wenn du nicht sofort aufstehst, dann …“

Und wenn ich nun mal genervt bin, was dann? Dann reichen oft wenige bewusste Atemzüge, um wieder bei sich anzukommen. Das Gehirn, das unter Stress weniger Sauerstoff bekommt, wird wieder mit Sauerstoff versorgt, der Körper entspannt sich und wir erkennen, dass der Säbelzahntiger, gar keiner ist. Sondern ein Junge mit dicken Kopfhörern, der gerade mit seinen Gedanken ganz woanders ist.

Die Lehrkräfte im Bus hätten dann zum Beispiel das gesagt, was sie bei sich und den Kindern wahrnehmen: “Ich hab Sorge, dass wir nicht alle schaffen an der Bushaltestelle auszusteigen, kann ich dir beim Packen deiner Sachen schnell behilflich sein.“ Oder: “Steig bitte zügig aus.“

Zusammengefasst heißt das: Es geht beim achtsamen Sprechen nicht nur darum, freundlich zu reden. Sondern es geht in erster Linie darum, authentisch und persönlich zu sein. Und das geht, indem ich mich und die Situation achtsam wahrnehme. Erst höre, fühle, sehe, um dann klar zu sagen, was ich will, mag, möchte oder nicht. Das klingt kompliziert, ist aber wie Autofahren lernen. Je länger man es übt, desto automatisierter braust man durch die Welt.

Mona Kino

Für eine achtsame und authentische Kommunikation

Klassiker: Achtsame Kommunikation mit Kindern