Schulleitung: „Mein Job bestimmt mein ganzes Leben“

Das Interview führte Marika Muster

Was sind momentan die größten Herausforderungen für Schulleitungen?

Claudia Schwegmann: Viele kommen zu mir, weil sie Druck spüren und nicht mehr wissen, wie sie gut mit den wachsenden Anforderungen und Herausforderungen umgehen können. Die schulischen To-do-Listen von Schulleitungen werden scheinbar immer länger.

Gleichzeitig sehe ich eine wahnsinnige Leistungsbereitschaft. Schulleitungen und Lehrkräfte sind hoch motiviert und wollen einen guten Job machen. Eine Schulleiterin sagte mir kürzlich: „Mein Job bestimmt mein ganzes Leben, von morgens früh bis abends spät. Da ist nichts anderes mehr.“

Was ist mit dem Lehrkräftemangel?

Schwegmann: Das ist ein Riesenthema. Viele Schulen sind total unterbesetzt. Teilweise gibt es außerdem nicht mal ausreichend Personal im Sekretariat und die Schulleitungen übernehmen Verwaltungsaufgaben allein.

Hinzu kommt die Bürokratie, die sich immer mehr versteift. Sie ist so stark strukturiert, dass sie nicht mehr funktioniert. Dabei müssten sich Schulleitungen eigentlich dringend mit Schulentwicklung, statt mit der Verwaltung beschäftigen und Antworten auf große Themen wie Digitalisierung, Inklusion und Zukunftsorientierung finden. Es wird erwartet, dass sie alles schaffen können. Und das ist vollkommen utopisch.

Und es wollen auch immer weniger die Schulleitung übernehmen…

Schwegmann: Aktuell sind über 1.000 Schulleitungsstellen in Deutschland frei und schwer zu besetzen. Wenn man auf Schulwebseiten genauer hinschaut, steht dort häufig „kommissarische Schulleitung“ und ein Jahr später steht es da immer noch. Die Prozesse dauern zu lange.

Ein häufiges Thema meiner Kund*innen ist auch die gefühlte Unfreiheit. Schulleitungen sind oft visionäre Personen, die mit kreativen Ideen kommen und in diesem Job etwas verändern und verbessern wollen. Und dann kommt so viel Kontrolle, so viele Vorschriften, die oft vollkommen sinnbefreit sind. Das stresst wahnsinnig, weil Schulleitungen häufig gegen ihre Werte und Überzeugungen arbeiten müssen. Und das ist natürlich nicht gesund für die Psyche.

Die komplexen Strukturen verhindern Veränderungen und ersticken sie im Keim.

Können Schulleitungen sich dagegen wehren?

Schwegmann: Naja, es gibt die Hierarchie. Viele Schulleitungen machen leider die Erfahrung, dass ihnen eher Steine in den Weg gelegt werden. Anstelle der erhofften und dringend benötigten Unterstützung kommt eher eine Ausbremsung. Das frustriert.

Es ist natürlich nicht überall so, das darf man nicht verallgemeinern, aber das höre ich aus verschiedenen Bundesländern. Und das ist traurig, weil sich da die Katze in den Schwanz beißt. Es gibt so viele Menschen, die tatkräftig an Schule und Bildung etwas verändern wollen. Es gibt viele Leuchtturmprojekte, aber die komplexen Strukturen verhindern Veränderungen und ersticken sie im Keim.

Wenn es so schwierig ist, wie haben die Leuchtturmschulen es dann geschafft etwas zu ändern?

Schwegmann: Meines Erachtens hat das mit viel Mut zu tun. Wenn ich in Schule wirklich etwas ändern möchte, muss ich große Hürden meistern. Da geht es oft ans Eingemachte. Als Schulleitung ist man ohnehin in einem System der- oder diejenige, der/die den Kopf hinhalten muss – vor Eltern, vor dem Kollegium, vor den Behörden. Und die Interessen der einzelnen Gruppen gehen oft sehr weit auseinander.

Im zweiten Schritt braucht es, nach meinem Empfinden, ein Team, das mitzieht. Ein starkes Schulleitungsteam oder einen Kern im Kollegium, der wirklich mitgeht und sagt „Ja, wir setzen das jetzt um“. Es ist ein großes Problem, wenn es Widerstand aus dem Kollegium gibt. Veränderung wirkt für viele bedrohlich und verunsichernd. „Das haben wir schon immer so gemacht“,  ist da ein gefühlt einfacherer und ungefährlicherer Weg. Es ist schwierig für Schulleitungen, etwas gegen den Willen von Teilen des Kollegiums durchzusetzen.

Es gibt zurzeit viel Umbruch, Umwandlung und Unsicherheit.

Und wenn die Eltern nicht mitgehen?

Schwegmann: Das ist auch ein Problem in der Bildung. Jede*r von uns war in der Schule und hat eine Vorstellung davon. Wir fühlen uns alle als Mini-Experten. Aber die ganze Gesellschaft hat sich so stark geändert, dass Schule nicht mehr so sein kann und darf wie damals. Es werden heute und in Zukunft andere Fähigkeiten gebraucht. Und das ist schwer zu vermitteln. Denn wir wissen selbst nicht, was in zehn Jahren gebraucht wird.

Die gesellschaftliche Umstrukturierung und die generelle Verunsicherung in der Bevölkerung spielen natürlich auch mit hinein. Schule war immer eine Konstante. Da ist eine Schule, die geht von 8 bis 13 Uhr. Mein Kind wird da betreut und dann gibt es eine Note – das kennt jeder. Und das bringt Sicherheit. Aber es ist wie überall in der Gesellschaft: Es gibt zurzeit viel Umbruch, Umwandlung und Unsicherheit.

Es gibt neue Themen wie Digitalisierung und Umgang mit KI, die Frage danach, wie viel und welchen Lernstoff man überhaupt noch braucht oder welche Kompetenzen in Zukunft wichtig sein werden. Wie gehen Schulleitungen damit um?

Schwegmann: Für diese übergeordneten Themen brauchen Schulleitungen vor allem Zeit. Zeit, die ihnen im Schulalltag oft nicht zur Verfügung steht. Diese Themen kann man nicht mal eben nebenbei bearbeiten. Meiner Meinung nach sollten Schulleitungen damit nicht allein gelassen werden. Wie sollen sie diese riesigen Aufgaben gut lösen?

Ich bin keine Beraterin für Schulentwicklung. Ich bin Coachin und stelle Fragen, die individuell gelöst werden können. Bei solchen übergeordneten Fragestellungen ist meiner Meinung nach dringend echtes Leadership der Behörden und professionelle Unterstützung von außen notwendig.

Viele Schulleitungen belastet in solchen Situationen zum Beispiel auch die „Vereinsamung“. Schulleiter*innen wachsen aus einem Kollegium heraus. Vorher sind sie Teamplayer und gehören dazu. Dann sind sie plötzlich gefühlt allein in der Leitung, tragen sehr viel Verantwortung und müssen mutig Entscheidungen treffen. Es kann zu einer persönlichen Krise werden, wenn die Kolleg*innen einem nicht mehr alles erzählen.

Das Übertragen von guten Ansätzen und die Vernetzung von Schulleitungen sollten viel mehr gefördert werden.

Kann Vernetzung der Vereinsamung entgegenwirken?

Schwegmann: Ja, ich höre von verschiedenen Schulleitungen, dass es wichtig ist, sich kollegial zu vernetzen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Das kann helfen, damit man merkt, dass man nicht allein ist. Ebenso wie das Arbeiten nach „Best practice“.

Es gibt zum Beispiel Leuchtturmschulen, die durch den Deutschen Schulpreis oder andere ausgezeichnet werden. Warum gucken wir denen nicht etwas ab und suchen uns die Rosinen raus? Das passiert leider zu wenig. Es wäre toll, wenn Behörden dies professionell strukturieren und mehr Orientierungshilfe bieten würden. Stattdessen wird an Schulen zu häufig bei null angefangen. Ich denke, das Übertragen von guten Ansätzen und die Vernetzung von Schulleitungen sollten viel mehr gefördert werden, um voneinander zu lernen. Dann muss nicht jeder alle Fehler selbst machen.

Gibt es so etwas in Ansätzen?

Schwegmann: Im Stress des Alltags fällt das manchmal hinten runter. Aber es wird natürlich schon gemacht. Ich biete zum Beispiel Mastermindgruppen für Schulleitungen an, in denen immer drei bis sechs Teilnehmer*innen sind, um sich lösungsorientiert eineinhalb Stunden untereinander auszutauschen. Eine Art kollegiale Beratung plus Coaching, um neue Perspektiven und Wege zu finden.

Was ist Ihre Vision einer guten Schule?

Schwegmann: Ich wünsche mir, dass Schule ein Ort wird, an dem Menschen authentisch sein können und ihre Visionen und Träume ausprobieren dürfen. Maximale Stärkenorientierung in einem sicheren Raum wäre mein Traum. Denn Angst und Vorsicht sind ein Killer für jede Art von Innovation und Kreativität.

Außerdem wünsche ich mir eine Schule, an der man offen miteinander redet, sich gegenseitig zuhört und sich vernetzt. Es sind so viele passionierte Pädagog*innen und Schulleitungen da draußen, die für gute Bildung brennen. Das Wissen und die Wissenschaft dahinter sind da. Wir wissen, wie Lernen funktioniert. Man müsste es „nur“ anwenden und von oberster Ebene anleiten. Es braucht eine sehr weitreichende Schulreform.

Danke für das Gespräch!

Claudia Schwegmann ist Life & Leadership Coachin. Durch ihre Gespräche bekommt sie tiefe Einblicke in die Facetten des Schulalltags und die damit verbundenen Höhen und Tiefen. Claudia arbeitet außerdem als Trainerin für Entrepreneurship Education mit Schüler*innen in Hamburg und Niedersachsen. Sie organisiert und leitet Workshops zu verschiedenen Themen der Persönlichkeitsentwicklung. Gemeinsam mir Antje Schierhorn hat sie die SoulTeachers gegründet und hat 2023 das gleichnamige Coaching-Buch im Beltz Verlag veröffentlicht. Mehr zu Claudia Schwegmann auf ihrer Website und auf der Seite der SoulTeachers.

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