Yoga für Autisten – Entspannen und ins Spüren kommen

So richtig gut kann sich Yassin El Maghraby nicht mehr an den Yogakurs erinnern, den er zwei Jahre lang regelmäßig besuchte. Aber was er noch weiß: Er hat dort seine Beine gestreckt und einen Katzenbuckel gemacht, um seinen Rücken zu bewegen. Und das hat ihm gutgetan! Denn manchmal hat der Berliner Schwierigkeiten, sich zu entspannen. Das liegt auch an seinem Autismus. „Bei uns Autisten funktioniert das Gehirn anders, deshalb ist unsere Wahrnehmung auch anders – und wir sind oft gestresst“, erklärt der 26-Jährige, der in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitet.

Yoga, um den Körper zu entspannen

„Yoga für Menschen mit Autismus“ – so heißt das Angebot des Berliner Kooperationsverbunds Autismus, an das sich Yassin El Maghraby gerne zurückerinnert. Der Kurs wurde 2018 gestartet – mit zehn erwachsenen Teilnehmenden. Initiatorin ist Gesine Ufkes, die hier ihre beiden Spezialgebiete miteinander verknüpft: Die 52-Jährige ist Yogalehrerin mit Schwerpunkt auf Yogatherapie. Und sie hat als Sozialpädagogin selbst lange in der Förder- und Beratungsstelle für Menschen mit Autismus gearbeitet, die den Yogakurs jetzt seit einigen Jahren anbietet.

Hier hat sie erlebt, dass vielen Autistinnen und Autisten der Bezug zum eigenen Körper und Ausdrucksmöglichkeiten fehlen, was teilweise zu einer hohen Körperspannung, aber auch zu Frust und Aggression führt. Zuvor hat Gesine Ufkes bereits in der Schweiz an einer Grundschule mit Autismusschwerpunkt Yogaangebote gemacht – mit guten Erfahrungen. „Bewegung ist wichtig, damit diese Kinder und Jugendlichen einen Zugang zu ihren körperlichen Empfindungen bekommen“, sagt sie.

Individuelle Begleitung ist wichtig

Im Berliner Yogakurs erlebt Gesine Ufkes, dass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer eine ganz eigene Thematik mitbringt und individuelle Unterstützung benötigt. Die eine bewegt sich lieber im Sitzen, der andere im Liegen. Die eine kann rein sprachliche Erklärungen gut umsetzen, der andere braucht eine bildliche Unterstützung. Der einen hilft es, wenn die Lehrerin ihren Körper mit der Hand in die Positionen führt, während die andere lieber nicht berührt werden möchte.

Statt einem einheitlichen Unterricht muss sie also für jede und jeden ein „eigenes Programm“ entwickeln. „Ich mache hier immer sehr viel weniger Haltungen als in regulären Kursen. Ich biete verschiedene Varianten der Yoga-Haltungen an – wer nicht so gerne auf dem Boden liegt oder körperlich nicht dazu in der Lage ist, kann die Übung an der Wand oder auf einem Stuhl machen. Und wir verweilen dann auch deutlich länger in jeder Position, damit die Teilnehmenden die Wirkung gut spüren können“, sagt sie.

Yoga anleiten mit viel Zeit

Wichtig findet die Sozialpädagogin, sehr klare Anweisungen zu geben, dabei nicht zu viel zu reden und sich für alle Schritte ausreichend Zeit zu nehmen. Denn viele autistische Menschen lassen sich durch unnötige Informationen leicht ablenken und brauchen aufgrund ihres eingeschränkten Körperkontakts länger, um Worte in Bewegungen umzusetzen.

Um den Körper besser zu spüren, lässt sie die Teilnehmenden beispielsweise bewusst die Hand auf den Boden legen und gibt ihnen dazu Anweisungen: Spürst du den Boden unter der Hand? Spürst du deine Hand? Auch am bewussten Atmen arbeitet sie sehr intensiv und kleinschrittig. Sie bittet die Teilnehmenden zum Beispiel, die Augen zu schließen und die Hände auf den Bauch zu legen. Dann erklärt sie ihnen, wie sie in ein bestimmtes Körperteil atmen können. Manchmal lässt sie die Teilnehmenden mit dem Rücken an der Wand sitzen, um in der Vorstellung gegen die Wand zu atmen.

Abstand vom eigenen Denken bekommen

Die Yogalehrerin bekommt sehr positives Feedback. „Viele sagen, Yoga tue ihnen gut. Warum genau das so ist, wissen viele nicht“. Gerade Asperger-Autistinnen und Autisten, die viel in ihren Gedanken sind, berichten oft, dass ihnen der Abstand vom Denken Stress nimmt. Auch Eltern und pädagogische Fachkräfte sagen ihr, dass sie nach dem Yogakurs einen besseren Zugang zu Kindern und Jugendlichen haben.

Der Berliner Yogakurs ist deutschlandweit einzigartig. Autistische Menschen können natürlich prinzipiell auch an jedem anderen Yogakurs oder Achtsamkeitsangebot teilnehmen. Ob sie sich dort wohl fühlen, hängt von vielen Faktoren ab. Fabian Diekmann vom Verband autismus Deutschland e.V. findet vor allem wichtig, dass die Teilnehmenden Interesse daran haben und dass das Angebot freiwillig ist.

Janna Degener-Storr

Mehr Infos zu dem Kurs in Berlin finden Sie hier.

Information zu Autismus

Wie genau sich Autismus auf einen Menschen auswirkt, da gibt es also von Individuum zu Individuum große Unterschiede. Expert*innen sprechen deshalb auch von einem „autistischen Spektrum“, in dem sich Menschen befinden, oder von „Autismus-Spektrum-Störungen“, kurz ASS. Der Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus „autismus Deutschland e.V.“ versteht unter Autismus eine „komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung“.

Sie betrifft die Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken. Manche Autist*innen sind sensibler, andere weniger sensibler als andere Menschen – und bei vielen hängt es auch vom Reiz ab, ob sie besonders stark oder besonders schwach reagieren. Untersuchungen in Europa, Kanada und den USA kommen zu dem Ergebnis, dass sechs bis sieben von 1.000 Menschen mit Autismus leben.

Wie Achtsamkeit für autistische Menschen funktionieren kann